Fokus und Psychoanalyse

Wie ist nun das Verhältnis eines Fokus, benutzt im Rahmen einer Kurzpsychotherapie – zu einer psychoanalytischen Haltung?
Freud empfiehlt als analytische Haltung die „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ und vergleicht diese mit der ruhigen Haltung an einem Fluß, dessen verschiedenen Mäandern man ruhig folgen solle. Er betont dabei, daß man sich hüten solle, einen geraden Kanal zu schlagen. In der Tat, einen gewaltsamen Kanal darf man auch in der Kurzpsychotherapie nicht schlagen, aber man sollte sich wie ein vorausschauender Bootsfahrer orientieren, wo der natürliche Hauptstrom des Wassers fließt, um sich bei der Fahrt nicht in vielleicht versickernden Seitenästen des Flusses zu verirren. Wenn man viel Zeit hat, wie in einer langfristigen analytischen Arbeit, ist auch das kein Problem, aber wenn feststeht, daß die Zeit begrenzt ist, dann wäre das schon eher fatal.

Zur Verdeutlichung dieses Gedankens sollten wir uns eine konkrete Psychotherapiestunde vorstellen. Ein Patient schildert einen Konflikt mit seiner Frau, bei dem es um unterschiedliche Auffassungen in der Erziehung geht. 

Was greift der Therapeut nun auf?
Die Rolle des Patienten als Vater und Mann vor dem Hintergrund seiner Beziehung zu seinem eigenen Vater? Seine innere Position zu seiner Frau, die ihn in ihrer Haltung vielleicht an seine Mutter erinnert? Oder seine innere Identifikation mit den Kindern, die eigene Probleme mit seinen Eltern in ihm berühren? Oder vielleicht seine Werte und Normen, seinen Umgang damit?
Es wird deutlich, der Therapeut muß auswählen aus den vielfältigen Bedeutungen, die hinter jeder der Äußerungen des Patienten stehen können. Er kann gar nicht anders. Das ist allerdings ein Problem, das in einer langen Therapie nicht besonders ins Gewicht fällt, weil sich ja im Laufe der Zeit aus den verschiedenen Aspekten, die man als Therapeut nacheinander oder durcheinander herausgreifen kann, allmählich ein Mosaik der Zusammenhänge herausarbeiten läßt.

Es wird deutlich, daß im Grunde gar kein Unterschied besteht zwischen dem Vorgehen in einer Analyse und dem in einer fokalen Kurztherapie außer der Tatsache, daß die Entscheidung, welche Themen für die Deutungen ausgewählt werden, ganz bewußt gefällt wird, nämlich im Prozeß der Erarbeitung des Fokus. Der Fokus ist die Beschreibung des oben geschilderten „natürlichen Hauptstroms“, also der zentralen, im aktuellen Moment der Therapie hinter der Problematik oder Symptomatik des Patienten liegenden, unbewußten Motive oder Konflikte.