Was ist die Funktion des Fokus in einer Kurzpsychotherapie?
Hier würde man Gefahr laufen, innerhalb der kurzen, zur Verfügung stehenden Zeit nur eine Sammlung von Themen zu besprechen, ohne die Chance, ein zentrales inneres Thema auch „in die Tiefe“ verfolgen zu können. Der Therapeut muß also auswählen. Was aber greift er heraus? Wonach richtet er sich in seiner inneren Entscheidung? Er kann sein theoretisches Wissen über eine bestimmte Krankheitsgruppe dafür benutzen, er kann sich an Erfahrungen mit anderen Patienten orientieren, er kann eigene Erfahrungen als inneren Vergleich benutzen, er kann schweigen, um abzuwarten, in welche Richtung die weitere Gedanken des Patienten führen aber irgendeine Entscheidung muß er fällen. Hinter dieser Entscheidung, die selten ganz bewußt getroffen wird, steht meist ein eher intuitiver Entscheidungsprozeß.
Es wird deutlich, daß im Grunde gar kein Unterschied besteht zwischen dem Vorgehen in einer Analyse und dem in einer Fokaltherapie außer der Tatsache, daß die Entscheidung, welche Themen für die Deutungen ausgewählt werden, ganz bewußt gefällt wird, nämlich im Prozeß der Erarbeitung des Fokus.
Der Fokus ist die Beschreibung des im Kapitel über „Fokus und Psychoanalyse“ geschilderten „natürlichen Hauptstroms“, also der zentralen, im aktuellen Moment der Therapie hinter der Problematik oder Symptomatik des Patienten liegenden, unbewußten Motive oder Konflikte.
Dieser Fokus stellt nun für den Therapeuten eine innere Orientierung in seinem Deutungsprozeß dar. „Selektive Deutung“ und „selektive Nichtbeachtung“ sind die von Balint geprägten technischen Begriffe dafür. Alles, was zu dieser im Fokus verdichteten Thematik gehört, wird gedeutet, alles andere nicht, zumindest nicht in dieser zeitlich begrenzten Therapie. Natürlich muß im Prozeß der Erarbeitung des Fokus gewährleistet sein, daß dieser nicht willkürlich ist, sondern daß er etwas für den Patienten wirklich wesentliches enthält. Dies ist im nächsten Kapitel über die konkreten Schritte der Erarbeitung des Fokus beschrieben.